Nach dem Dienstantritt am 1. Juni waren am Samstag die ersten 100 Tage für Lars Petersen als Bürgermeister der größten Inselgemeinde vorbei. Anlass genug, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Die augenscheinlichste Veränderung im Büro des Bürgermeister ist die Abwesenheit jeglichen Hinweises auf preussische Tugenden. Das neue Motto im Büro von Lars Petersen kommt von Winston Churchill:
Never, never, never give up.
Lars, 100 Tage seit dem Amtsantritt, was war so wie erwartet und was war ganz anders?
Ich denke mal, wenn ich die ersten einhundert Tage Revue passieren lasse, war wohl eigentlich alles anders, als man es eigentlich hätte erwarten dürfen. Es heißt immer so schön, die ersten hundert Tage sind eine gewisse Schonfrist, man kann reinriechen, man kann lernen, einem werden auch Fehler verziehen. Meine Schonfrist endete schon eine Woche vor meinem Amtsantritt und startete mit dem Höhepunkt oder gleich mit dem Riesenevent Fußball-EM, das ja sehr verhalten anlief, glücklicherweise mit einem Top-Partner ZDF. Von unserer Seite war mit etwas viel Blauäugigkeit und wenig professioneller Vorbereitung gestartet worden. Wenn ich zum Beispiel daran denke, dass im Vorfeld ständig gesagt wurde, es sind schon 75 Prozent der Eintrittskarten verkauft, wir erwarten ein Verkehrschaos, wovon sich weder das eine noch das andere bestätigt hat. Dazu wurden die Nachbarkommunen nicht mitgenommen, wir mussten feststellen, dass in Ückeritz und den anderen Kurverwaltungen kein Infomaterial über die Veranstaltungen vorhanden war – wahrscheinlich liegt heute noch irgendwo etwas davon herum.
Den Start hätte ich mir schon etwas ruhiger gewünscht. Dazu kamen aus Reihen der Gemeindevertretung im Vorfeld von einigen Wahlverlierern und ihren Anhängern persönliche Angriffe unter die Gürtellinie. Meine größte Enttäuschung ist allerdings, dass mit dem ehemaligen Bürgermeister, jetzt im Hintergrund, versucht wird, mir über seine Kontakte Steine in den Weg zu legen.
Wie muss man das verstehen mit dem Steine in den Weg legen?
Da taucht zum Beispiel Herr Heilmann auf Vermittlung von Herrn Kottwittenborg gegen meinen ausdrücklichen Wunsch bei einem Termin zur Schulproblematik in Schwerin auf. Oder Herr Kottwittenborg taucht bei einem Gespräch im Bereich der KTS auf, wo es um unbezahlte Rechnungen für die EM geht, und versucht da, den Geschäftsführer zu beeinflussen. Es sind verschiedene Bereiche, in denen er mitwirkt, man merkt das auch an bestimmten Fragen in der Gemeindevertretung, die nur darauf abzielen, mich bloßzustellen und vorzugaukeln, dass früher alles besser war. Zu gegebener Zeit wird für die Allgemeinheit offengelegt werden können, wohin die vergangene Bürgermeister-Amtszeit geführt hat.
Das hört sich etwas nach Frustration an nach den ersten hundert Tagen?
Nein, ich bin nicht frustriert. Enttäuscht trifft es besser. Es wurde im Vorfeld viel gesagt, was sich als falsch herausgestellt hat, zum Beispiel bei der Grundschule. Da hieß es, die Finanzierung der Grundschule steht, da musst Du dir keine Sorgen machen, der Baubeginn ist im April. Ich habe dann im Mai noch keine Bagger gesehen und auf meine Nachfrage in der Verwaltung stellte sich heraus, dass bei der Grundschule überhaupt nichts klar ist. Es gab keine Finanzierung, abgesehen von der Zusage einer zinslosen Überbrückungshilfe, einer sogenannten Liquiditätshilfe, die hätte zurückgezahlt werden müssen. Von einer Verlängerung der Rückzahlungsfrist bis Juni 2014 schon im Oktober 2011 wurde mir bei meinem Amtsantritt und noch bis zum vergangenen Monat nichts bekannt gegeben.
Da fangen wir jetzt noch einmal komplett neu an mit der Prüfung der Finanzierung. Wir reden bei der Grundschule über etwa 5,5 Millionen und bei der Europäischen Gesamtschule noch einmal über 4,5 Millionen, also eine Summe von circa 10 Millionen Euro. Wir hoffen auf eine vernünftige Unterstützung des Landes, aber wo uns das am Ende hinführt, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Wir müssen jetzt erst einmal unsere Hausaufgaben machen, die Planung durchgehen und die Bauabschnitte, den Finanzbedarf genau ermitteln. Das wird noch eine Menge Arbeit im nächsten Monat.
Das Verhältnis zwischen Gemeindevertretung und Bürgermeister wirkt etwas angespannt?
Also ich würde mal sagen, ich habe sicher einige schlaflose Nächte und ich freue mich eigentlich in bestimmte Ausschüsse zu gehen, bei anderen Ausschüssen und Gremien habe ich einen glatten Horror davor, das sage ich ganz ehrlich. Wie dort mit Menschen umgegangen wird, das macht man nicht, ist einer Kommune wie Heringsdorf unwürdig. Weder untereinander in der Gemeindevertretung, noch mit dem Bürgermeister, noch auch mit Leuten wie zum Beispiel Friedhelm Acksteiner, das kann, besser, darf man so nicht machen. Dazu kommt eine gewisse Respektlosigkeit, wenn mir zum Beispiel ein Hotelier in der Öffentlichkeit das Format abspricht. Sie müssen mich nicht lieben, sie müssen aber einfach akzeptieren, dass ich gewählt worden bin, von einer überwältigenden Mehrheit der Bürger. Auch wenn manche meinen, ich sei nur aus Protest gewählt worden.
Ich denke, der Umgang miteinander sollte auf einer sachlichen Ebene funktionieren. Wir sind alle angetreten, so sollte es zumindest sein, uns für unsere Gemeinde, unsere Bürger zu engagieren. Da wäre es ganz gut, wenn der ein oder andere seinen Egoismus oder den Hang zur Selbstdarstellung einmal in den Hintergrund schiebt, das wäre mein Wunsch. Ich weiß, dass ich noch eineinhalb Jahre mit dieser Gemeindevertretung zusammenarbeiten muss, das ist einfach so. Aber ich denke, wenn wir uns alle etwas zusammenreißen und zurücknehmen und bei manchen Entscheidungen einfach mal eine Nacht drüber schlafen, könnte das was werden. Es ist auch für niemanden gut, wenn die Gemeindevertretung wider besseres Wissen rechtswidrige Beschlüsse fasst und mich dann zwingt, zu widersprechen. Was für ein Bild entsteht da in der Öffentlichkeit, so wie das nun schon zweimal passiert ist?
Wie haben sich die ersten Kontakte zu den Gemeinden auf der Insel entwickelt?
Ich hatte mit Siegfried Krause ein nettes Gespräch, ich war zu Gast bei Karl-Heinz Schröder, zu Stefan Weigler und der Wolgaster Verwaltung habe ich inzwischen einen ganz guten Draht gefunden, wir werden uns im Rahmen des Inselrates auch wieder treffen, dazu gibt auch schon einen Termin. Mit Karl-Heinz Schröder und Martin Meenke hatte ich bereits ein sehr konstruktives Gespräch. Ich sehe manche Dinge ähnlich wie er, nicht alle, aber das gehört einfach auch dazu. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit allen, ich denke, dass diese Insel nur etwas erreichen kann, wenn wir alle zusammen an einem Strang ziehen.
Das hätte ich mir auch schon für die EM gewünscht, da ist viel Potenzial verschenkt worden, weil die anderen Gemeinden und die Vereine nicht mit ins Boot geholt worden sind. Überheblich zu denken, dass so ein Event alleine zu schultern ist. Nachdem klar war, dass die Arena am Anfang nicht immer ausverkauft sein wird, hätte man den Kindern in den anderen Gemeinden die Gelegenheit geben können, bei einem solchen Event einmal dabei zu sein. Da hätte der Leuchtturm, als den manche Heringsdorf immer sehen, auch einmal Sympathien ernten können.
Wie sieht es mit Swinemünde aus?
Mit Herrn Smurkiewicz habe ich mich schon mehrere Male getroffen, wir haben auch schon Tennis gespielt bei einem längeren Turnier mit Künstlern, die er jedes Jahr einlädt. Ich war auch am 1. September, dem Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen in Swinemünde und habe einen Kranz niedergelegt.
Wie stellt sich die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern dar?
Die Mitarbeiter im Rathaus sind alle sehr motiviert und ziehen gut mit, aber es wird sicher noch die eine oder andere Veränderung in der Zukunft geben. Bis jetzt ist es aber gutes Teamplaying. Im Bereich der Wohnungsgesellschaft habe ich keine Probleme, bei der KTS haben wir mit Rolf Landau und Volker Brautzsch sehr gute Fachleute gefunden, die auch schon erste Kostensenkungspotenziale ausgemacht haben. Dabei geht es um hohe fünfstellige Summen, unglaublich wie dort Geld verschwendet wurde.
Beim Eigenbetrieb freue ich mich, dass mit Dietmar Gutsche jetzt wieder Sach- und Fachverstand an die Spitze zurückkehrt. Den Eigenbetrieb werde ich in Abstimmung mit Dietmar Gutsche umstrukturieren, dazu brauche ich keine Genehmigung durch die Gemeindevertretung, weil ich als Dienstherr personelle Maßnahmen so anordnen kann, wie ich das für richtig halte, solange das in meinem Zuständigkeitsbereich ist. Der Eigenbetrieb wird auf drei Säulen gestellt, das sind die Säulen Finanzen, allgemeine Verwaltung sowie Kultur und Kunst. Die einzelnen Sachbereichsleiter werde ich in enger Abstimmung mit Herrn Gutsche festlegen, einen Stellvertreter des Kurdirektors wird es nicht mehr geben. Die Sachbereichsleiter werden bei Abwesenheit des Kurdirektors mehr in die Verantwortung genommen.
Im Vorfeld der Wahl hattest Du gesagt, deine größte Schwäche sei es nicht „Nein“ sagen zu können. Wie ist es, wenn man als Bürgermeister „Nein“ sagen muss?
Bis jetzt habe ich nicht viel Nein sagen müssen, weil die Gemeinde noch keinen Haushalt hat, damit kann ich mich im Moment noch gut aus der Affäre ziehen. Natürlich versuchen wir alles möglich zu machen, dafür bin ich ja eigentlich angetreten, aber ich werde nicht jeden Wunsch erfüllen können. Die kleinen Dinge, dass der Bürger eine Antwort auf seine Fragen oder Wünsche bekommt, dass ihm erklärt wird, warum etwas geht oder nicht geht, dafür habe ich den Briefkasten auf der Webseite der Gemeinde eingerichtet, der ganz gut angenommen wird. Das hatte ich im Wahlkampf genauso wie die Abschaltung der Computerstimme versprochen. Im Kaiserbäderboten sind alle Ansprechpartner und Telefonnummern mit Emailadressen veröffentlicht, damit jeder die Möglichkeit hat, den entsprechenden Ansprechpartner direkt zu erreichen. Bei den lösbaren Problemen geht es um notwendigen Baumschnitt, Straßenreinigung, Kleinstreparaturen oder ausgefallene Straßenlampen, die wir nicht immer gleich bemerken.
Haushalt ist ein gutes Stichwort. 2012 ist fast vorbei, 2013 kannst Du als Bürgermeister mit dem Haushalt erste Akzente setzen. Ideen dazu?
In den ersten Jahren wird es sehr schwer, Akzente zu setzen. Durch die Einführung der Doppik müssen Abschreibungen erwirtschaftet werden. Alleine bei den Schulen kommt da schnell eine mittlere sechsstellige Summe heraus, je nachdem, wie viel wir selbst finanzieren müssen. Und dann kommt auch noch die Altfehlbetragsumlage für den Landkreis, da wird es schwer, finanziellen Spielraum zu schaffen. Bei der EGS müssen wir dringend etwas machen. In den Sommerferien ist ein innenliegendes Fallrohr geplatzt, da stand alles unter Wasser, zum Glück wurde es früh bemerkt und es gab keine Folgeschäden. Der Instandhaltungsstau ist aber groß und es kommt nicht von ungefähr, wenn wir für die vielen Schüler, die andere Regionalschulen besuchen alleine 100.000 Euro Schullastenausgleich zahlen müssen.
Für nächste Woche haben wir Tourismustreibende eingeladen, um deren Meinungen und Ideen zur touristischen Entwicklung zu hören und mit ihnen zu diskutieren. Man hat in Heringsdorf immer den Eindruck, dass nur zwei Hoteliers bestimmen, wo es in der Gemeinde lang geht, dem will ich entgegen wirken.
Dann gibt es die Idee, in Ahlbeck einen 24-Stunden-Kindergarten einzurichten, auch weil es bei den Ahlbecker Gören Probleme mit dem Brandschutz gibt, die wir gerade untersuchen lassen.
Bei den Märkten wollen wir mehr Transparenz schaffen, was die Standgelder angeht und wir wollen versuchen, mehr einheimische Händler auf den Märkten unterzubringen. Hier muss niemand aus Rostock Bier verkaufen, das können wir auch selbst.
Wenn Du dir für 2013 etwas wünschen könntest, was wäre das?
Dass jemand zu mir kommt und mir zwei Lasten von den Schultern nimmt. Zum einen die Problematik Schullandschaft. Die so in Papier und Tüten zu bekommen noch in diesem Jahr, dass wir nächstes Jahr die ersten Baumaßnahmen sehen. Und zum zweiten natürlich den Flughafen, denn ich sehe den Flughafen als eine der wichtigsten Infrastrukturen der Region. Es ist ganz wichtig, ihn für die Region zu erhalten. Und dann vielleicht noch eine dritte Last: Unseren Einwohnern das Wasser aus den Kellern zu nehmen.
Persönlich habe ich nur den Wunsch, dass ich das gesundheitlich alles durchstehe. Der Tod von Polizeidirektor Olaf Kühl mit gerade erst 45 Jahren hat mich sehr betroffen gemacht, das gibt einem schon zu denken.
Danke für das Gespräch.
Das Gespräch fand am Freitag nachmittag statt, die Fragen waren nicht vorher abgesprochen.
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