Leider nicht im eigenen. Der Zeitung, die sich selbst Usedom-Kurier nennt, obwohl sie in schöner Regelmäßigkeit nichts über die Insel zu berichten hat, ist ein neues Kunststück gelungen. Nachdem man schon vor langer Zeit die Messlatte für das Niveau auf dem Erdboden abgelegt hat, konnte der Redaktionsleiter in Anklam sie jetzt etwa 10 Zentimeter unter der Erde versenken.
Trauriger Anlass für hanebüchenes Geschreibsel war der Todesfall am Ückeritzer Strand am vergangenen Samstag. Mit der boulevardesken Schlagzeile Usedom: Sie feiern und vergessen den Tod geht Jürgen Mladek in die vollen:
Noch ein Toter auf Usedom, was ist das nur für eine furchtbare Saison. Ein 35-jähriger feierte die Nacht durch, bei Sonnenaufgang ging er mit drei Freunden ins Wasser. Er starb. Die Feste auf Usedom, sie werden immer größer, immer wilder. Die Gefahren werden vergessen.
Was hat eine private Feier (Originalton Polizeibericht: „Während der Nacht hatten mehrere Personen am Strand gefeiert.“) mit kommerziell organisierten Festen zu tun? Und wo werden die immer wilder? Und größer?
Wenn eine Party auf Usedom richtig gut ist, dann wird sie auch ganz schnell richtig groß. Per Facebook zirkulieren die Fotos, jeder will hin, jeder bloß nichts verpassen. Die Spaßgesellschaft schmeißt den Turbo an.
Es gab und gibt keine Facebook-Partys auf Usedom. Es gibt kommerziell organisierte und herkömmlich beworbene Veranstaltungen wie den Beach-Soccer-Cup. Die Ankündigung auf Facebook hatte 22 Likes und wurde ganze 5 mal geteilt. Gigantische Zirkulation.
Aber der Tod hält mit.
Nicht ein einziger tödlicher Badeunfall auf Usedom kann auch nur im entferntesten mit einer Veranstaltung oder in Verbindung gebracht werden.
Das Wochenende auf der Insel. In Ahlbeck feiern sie den „Beachsoccercup“, natürlich gibt es am Anfang eine tolle Strandparty.
Am Anfang? Es gab auch eine in der Mitte und eine am Ende. Einstimmung auf die kommende Spekulation.
Sehr gut organisiert, sehr gelungen, von überall strömen die Menschen hin. Teams mit fröhlichen Namen wie „Wacker durchsaufen“ sind am Start. Haben hier vielleicht auch die vier Männer mitgefeiert, die später den Rest der Nacht am Strand von Ückeritz durchmachen?
Spekulation.
Jedenfalls, auch sie sind unbekümmert, auch sie wollen in ihrer kurzen Urlaubszeit Erlebnis an Erlebnis reihen, nichts verpassen. Deshalb die Verabredung, sich bei Sonnenaufgang ins Wasser zu stürzen.
Spekulation. Woher weiss der Redakteur, ob sie unbekümmert waren? Ob sie Erlebnis an Erlebnis reihen wollten? Ob sie sich verabredet haben? Hat er mit ihnen gesprochen?
Tun sie. Und haben Spaß. Aber ein 35-Jähriger aus Berlin ist plötzlich verschwunden. Das Wasser ist nur hüfthoch. Und doch ist er ertrunken. Jetzt wird noch überprüft, welche Faktoren bei diesem Unglück womöglich eine Rolle gespielt haben, aber eines dürfte schon fest stehen: Im Urlaub vergessen viele Menschen die Gefahren, die am Wasser drohen.
Was haben die Gefahren des Wassers, die im Urlaub vergessen werden, mit den eingangs zitierten „immer größer und wilder werdenden Festen“ zu tun?
So ging es ebenfalls in Ückeritz schon im Februar einem 26-jährigen Berliner, der im Cafe Knatter Karneval gefeiert hatte. Im Supermario-Kostüm machte er sich auf den Heimweg, er wollte übers Eis abkürzen. Der junge Mann brach ein und starb.
Falschmeldung. Ein Blick in die eigene Zeitung hätte genügt: Der Mann feierte in der Ostseehalle Ückeritz und wurde beim Cafe Knatter zum letzten Mal lebend gesehen. Ob er übers Eis abkürzen wollte? Ob er auf dem Heimweg war? Spekulation.
Erschütternd auch noch eine zweite Nachricht von diesem Wochenende: Auch die 31-jährige Frau aus Pasewalk, deren neunjähriger Sohn vor gut einer Woche in der Ostsee vor Heringsdorf starb, überlebte die Badetragödie nicht. Ärzte hatten die Frau noch reanimieren können, aber jetzt hörte ihr Herz endgültig auf zu schlagen. Bereits am Dienstag starb ein 72-Jähriger bei einem Badeunfall in Trassenheide.
Nochmal. Was hat das mit den eingangs zitierten „immer größer und wilder werdenden Festen“ zu tun? Was mit dem reisserischen Aufmacher „Sie feiern und vergessen den Tod“?
Mich würde wirklich interessieren, was man auf einer Journalistenschule für so ein Machwerk als Note bekäme. Aber was soll man erwarten von einem Blatt, dass es sich zur Gewohnheit gemacht hat, nichts ahnende Urlauber mit dem irreführenden Namen „Usedom-Kurier“ zum Kauf zu verleiten.
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